Digital Health und Interoperabilität in Deutschland

Auf Basis gemeinsamer Standards

„Interoperabilität ist ein Gemeinschaftsprojekt. Es ist dabei wichtig, gemeinsam und auf Augenhöhe an einem runden Tisch zu sitzen und ohne politische Interessen und Pflichten zusammenzuarbeiten. Denn nur durch den aktiven Dialog kann das Gemeinschaftsprojekt auch erfolgreich gestaltet werden.“

Steffen Hennecke, Themenmanager Interoperabilität bei der gematik
Blau umrandetest Symbol mit einer EKG-Kurve darin.

Digitalisierung im Gesundheitswesen: „Digital Health“

Das deutsche Gesundheitswesen steht vor einigen Herausforderungen, die gelöst werden müssen, um die gesundheitliche Versorgung aller auch in Zukunft gewährleisten zu können. Beispielhaft hierfür sind der demografische Wandel, der Fachkräftemangel sowie Lücken in der regionalen und öffentlichen Gesundheitsversorgung, um nur einige zu nennen. Durch die Covid-19-Pandemie wurden diese Herausforderungen nochmal verstärkt.

Die Digitalisierung in Form von sogenannten „Digital Health“-Anwendungen birgt großes Nutzenpotential, diesen Problemen entgegenzuwirken. Durch telemedizinische Anwendungen können Patient:innen beispielsweise auf Diagnosen, Therapien und weitere medizinische Leistungen auch in ländlichen, strukturschwächeren Gebieten zugreifen. Des Weiteren sind digitale Gesundheitsapps bzw. „Apps auf Rezept“ und die elektronische Patientenakte (ePA) Lösungen für die Digitalisierung des medizinischen Ablaufs und Entscheidungsunterstützungstools für medizinisches Fachpersonal. Das Angebot von „Digital Health“-Anwendungen ist groß und wächst immer weiter.

Nutzung von FHIR-Versionen in Deutschland

Die führenden Spezifikationsakteure des deutschen Gesundheitswesen entwarfen unter Leitung der Nationalen Koordinierungsstelle für Interoperabilität im Gesundheitswesen ein Statement zum Umgang mit FHIR Versionen in Deutschland.

Alle bislang in Deutschland entwickelten FHIR-Spezifikationen von nationaler Tragweite setzen auf der Version 4.0.1 auf. Dies betrifft unter anderem

  • die Deutschen Basisprofile von HL7 Deutschland e.V.,
  • die Spezifikationen (u.a. eAU, eRezept) der KBV,
  • das Ökosystem der Medizinischen Informationsobjekte der mio42 GmbH,
  • die ISiK-Spezifikationen der Gematik
  • die Kerndatensätze der Medizininformatik-Initiative
  • die DEMIS-Spezifikationen des Robert-Koch-Institutes
  • der nationale Terminologieserver des BfArM
  • die eRezept-Abgabedaten der ABDA
  • die eRezept-Abrechnungsdaten und den eVersorgungsplanPflege (in Arbeit) des GKV-SV

Da diese Spezifikationen in hohem Maße voneinander abhängig sind, können Migrationen zwischen Major Releases von FHIR nur dann gelingen, wenn sich alle beteiligten Organisationen auf einen gemeinsamen Migrationspfad mit abgestimmten Zeiträumen und Übergangsfristen einigen.

Fazit

Die Organisationen mio42 GmbH, Kassenärztliche Bundesvereinigung, HL7 Deutschland, gematik GmbH, Medizininformatik Initiative, Robert-Koch-Institut, GKV-Spitzenverband, sowie das Interop Council zusammen mit der Nationalen Koordinierungsstelle für Interoperabilität im Gesundheitsweisen stehen gemeinsam hinter dem folgenden Statement:

Derzeit erscheint eine Migration von R4 auf R5 aus Sicht der oben genannten Akteure nicht erforderlich. Eine Migration auf ein neues FHIR Release sollte erst dann vollzogen werden, wenn es einen abgestimmten Zeitplan gibt, der alle aktuell in Deutschland genutzten, FHIR-basierten Spezifikationen von nationaler Tragweite berücksichtigt. Auch neue Projekte sollten bis auf weiteres auf Version 4.0.1 aufsetzen, um die Kompatibilität zu anderen deutschen Spezifikationen zu gewährleisten. Sofern Funktionen oder Elemente aus FHIR R5 benötigt werden, kann auf die Methode der Preadoption zurückgegriffen werden.

Auf dem Weg zur Digitalisierung – die gesetzlichen Rahmenbedingungen

Wegen des großen Nutzenpotentials ist die Digitalisierung ein zentrales Thema im Gesundheitswesen. Um diese auszubauen, sind bereits mehrere Gesetzesinitiativen und Projekte in die Wege geleitet worden.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat in den letzten Jahren wichtige Rahmenbedingungen hierzu erlassen:

Das Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen („E-Health-Gesetz“) – seit Dezember 2015 in Kraft – hat den Aufbau der sicheren Telematikinfrastruktur (siehe Box) und damit auch die Einführung von Digital Health-Anwendungen ermöglicht. Somit setzte das E-Health-Gesetz den Grundstein für die Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Durch das Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung („Terminservice- und Versorgungsgesetz“ – TSVG) – seit Mai 2019 in Kraft – haben Versicherte seit 1. Januar 2021 das Anrecht auf eine elektronische Patientenakte (ePA). Außerdem schaffte es die Voraussetzungen für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und befähigte die KBV, die semantische und syntaktische Interoperabilität für Inhalte der ePA in Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen zu erarbeiten und festzulegen (§ 291b).

Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) – trat August 2019 in Kraft – enthält eine Roadmap für die Einführung für das eRezept, inklusive der Verpflichtung zur Selbstverwaltung der notwendigen Rahmenbedingungen.

Durch das Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation („Digitale-Versorgungs-Gesetz“ – DVG) – seit Dezember 2019 in Kraft – können DiGAs verschrieben werden, der Ausbau des digitalen Netzwerks im Gesundheitswesen wird gewährleistet, es gibt mehr Infos zu Online-Sprechstunden im Internet und IT-Sicherheitsstandards in Arztpraxen werden verpflichtend.

Das Gesetz zum Schutz elekronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur („Patientendaten-Schutz-Gesetz“ – PDSG) – seit Oktober 2020 in Kraft – regelt die ePA sowie das E-Rezept und Patient:innen bekommen das Recht auf digitale Versorgung. Hier steht der Schutz der Patientendaten im Vordergrund. Der Anschluss von Apotheken und Krankenhäusern an die TI wird zudem verpflichtend.

Das Gesetz für ein Zukunftsprogramm für Krankenhäuser („Krankenhauszukunftsgesetz“ – KHZG) – dient der Förderung einer verbesserten digitalen Infrastruktur in Krankenhäusern.

Das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege („Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz“ – DVPMG) – seit Juni 2021 in Kraft – aktualisiert Ansätze aus dem PDSG und DVG und ergänzt die elektronische Gesundheitskarte um digitale Identitäten. Es schafft eine Wissensplattform für Interoperabilität und baut die Nutzung der Telematikinfrastruktur aus. Darüber hinaus sollen digitale Pflegeanwendungen (DiPAs) künftig finanziert werden.

Die Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) spezifiziert die Aufgaben der Koordinierungsstelle für Interoperabilität und des Expertengremiums.


Dunkelblaues Symbol, Drei Menschen und zwei Pfeile

Auf dem Weg zur Digitalisierung – die zentralen Akteure

Neben dem BMG gibt es zahlreiche weitere Akteure, welche die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben.

Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat den Auftrag, neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen, und Versorgungsforschungsprojekte, die auf einen Erkenntnisgewinn zur Verbesserung der bestehenden Versorgung ausgerichtet sind, zu fördern.

Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz einen Innovationsfonds beim G-BA eingerichtet. Ziel des Innovationsfonds ist eine qualitative Weiterentwicklung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Der Innovationsausschuss entscheidet in Zusammenarbeit mit verschiedenen Experten über eingereichte Förderanträge und formuliert Beschlüsse zu deren eventuellen Überführung in die Regelversorgung. Der Innovationsfonds wird als wichtiger Treiber der Digitalisierung gesehen: Mehr als zwei Drittel der dort geförderten Projekte basieren auf Digital-Health-Lösungen.

Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nimmt als Dachverband der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen eine Schlüsselstellung im System der gesetzlichen Krankenversicherung ein. Die Hauptaufgaben der KBV sind Interessenvertretung, Sicherstellung und Versorgung. Außerdem ist die KBV mit der Definition von medizinischen Informationsobjekten (MIOs) für die elektronische Patientenakte beauftragt. Diese digitalen Informationsbausteine dienen dazu, medizinische Daten standardisiert zu dokumentieren. So sollen Informationen zwischen verschiedenen Akteuren besser ausgetauscht werden können.

Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)

Der GKV-Spitzenverband ist die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland und auf europäischer sowie internationaler Ebene. Er unterstützt Mitgliedskassen und deren Landesverbände bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich Digitalisierung. Außerdem trifft er Festlegungen zur elektronischen Datenübertragung zwischen Krankenkassen und Arbeitgebern sowie Leistungserbringern.

Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)

die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)

  • setzt digital Health-Gesetze des Gesetzgebers in Krankenhäusern um
  • vertritt Interessen der Krankenhäuser dem Gesetzgeber gegenüber

Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV)

Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) unterstützt Zahnärzte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich Digitalisierung und vertritt deren Interessen.

Weitere Akteure

Die gematik GmbH ist für die Konzeption und Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur (TI) verantwortlich und definiert rechtsverbindliche Standards sowie Spezifikationen von TI-Komponenten und –Diensten. Darüber hinaus ist die gematik auch für die Einführung, den Betrieb und die Weiterentwicklung der elektronischen Gesundheitskarte, bestimmter Fachanwendungen und weiterer Anwendungen für die Kommunikation zwischen Heilberuflern, Kostenträgern und Versicherten verantwortlich.

Standardisierungsorganisationen (siehe „Standardisierung und Interoperabilität“) zielen darauf ab, den Datenaustausch und die Interoperabilität im Gesundheitswesen zu fördern.

Die Medizininformatik-Initiative (MII) ist ein Projekt, welches durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Es schafft die Voraussetzungen dafür, dass Forschung und Versorgung näher zusammenrücken. Die MII fördert Datenintegrationszentren an Universitätskliniken, um Forschungs- und Versorgungsdaten standortübergreifend verknüpfen zu können. Dafür werden für einzelne medizinische Anwendungen innovative IT-Lösungen entwickelt. 

Insbesondere ist die Zusammenarbeit verschiedener Akteure wichtig, um eine ganzheitliche, sektorübergreifende Digitalisierung im Gesundheitswesen erreichen zu können.

Standardisierung und Interoperabilität:

  • Damit Gesundheitsdaten zwischen verschiedenen Akteuren und Anwendungen ausgetauscht werden können, müssen die Systemkomponenten interoperabel sein, also auf der gleichen „Sprache“ basieren.
  • Problem: Im Moment gibt es einen Mangel an Standardisierung im Gesundheitswesen. Obwohl einige Standards weit verbreitet sind (z. B. FHIR), gibt es noch zu wenig „offene Schnittstellen“, durch die die Mehrzahl der Systeme miteinander kommunizieren kann.
  • Für „offene Schnittstellen“ braucht es technische, semantische und syntaktische Grundlagen, also Standards.
  • Daher befassen sich mehrere Normierungsorganisationen, Standardisierungsgremien und sonstige Akteure des Gesundheitswesens mit der Entwicklung von Standards, Profilen und Leitfäden.
  • Standardisierungsorganisationen sind meist Zusammenschlüsse aus Interessensvertretern von Herstellenden und Anwendenden.
  • Bekannte internationale Standardisierungsgremien, die auch nationale Organisationen haben, sind z. B. HL7 Deutschland e. V. und IHE-Deutschland e. V.

Interoperabilität in der Forschung

In der medizinischen Forschung werden in der Regel Daten ausgewählter Studienteilnehmender unter kontrollierten Bedingungen erhoben (in prospektiven Studien). Im echten Leben sollen aber alle betroffenen Menschen unter realen Bedingungen von Forschungsergebnissen profitieren.

Die Öffnung von Datensilos im Gesundheitssystem durch interoperable Standards, allen voran durch die ePA für alle, dient umfangreichen (retrospektive) Studien mit bestehenden Daten aus der realen Welt (Real World Data – RWD)

zur Seite

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/e-health-initiative.html
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/D/DiGA-Leitfaden_2020.pdf
ttps://www.kbv.de/media/sp/Faktenblatt_Medizinische_Informationsobjekte.pdf
https://www.kbv.de/html/mio.php
https://mio.kbv.de/pages/viewpage.action?pageId=53248149
https://innovationsfonds.g-ba.de/
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/i/innovationsfonds.html

https://www.gematik.de/ueber-uns/
https://www.gematik.de/telematikinfrastruktur/
https://www.gematik.de/news/news/verbindliche-standards-fuer-eine-bessere-medizin/  
https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/digitalisierung_und_innovation/digi_inno_da.jsp
https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/digitalisierung/telematik_datenaustausch_1/s_telematik_datenaustausch.jsp

https://hl7.de/ueber-hl7/hl7-deutschland/
https://wiki.hl7.de/index.php?title=Kooperationen_in_Deutschland
https://www.ihe-d.de/ueber-uns/
https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/named
https://www.medizininformatik-initiative.de/de/snomed-ct-haeufig-gestellte-fragen
https://www.snomed.org/snomed-international/who-we-are
https://hl7.de/themen/hl7-fhir-mobile-kommunikation-und-mehr/warum-fhir/
https://mio.kbv.de/pages/viewpage.action?pageId=33357957
https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Terminologien/LOINC-UCUM/LOINC-und-RELMA/_node.html
https://www.gmds.de/de/aktivitaeten/medizinische-informatik/arbeitsgruppenseiten/standards-fuer-interoperabilitaet-und-elektronische-gesundheitsakten-sie/

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